Freitag, 15. Februar 2008

dachte nie, dass es einfach wird, aber...








Hätte ich geahnt, was mich heute erwartet, wäre ich wohl gar nicht erst aus dem Haus gegangen. Da es die ganze Nacht über geregnet hatte und das Wasser in Bächen vom Dach herunterplätscherte, habe ich nur wenig geschlafen.
Leider habe ich gestern in der Schule allen versprochen auch heute Mittwoch ohne Carol vorbeizukommen, sodass ich schon um 6h aufstehen musste! Alice holte mich dann um 7h mit ihrem Auto ab. Ich bezahle fürs Benzin, dafür fährt sie!
Ich hasse die Fahrmentalität der Menschen hier!! Ich habe dauernd „gebremst“ und war so was von angespannt und gestresst mit all den kleinen Schulkindern, die links und rechts am Strassenrand entlang schlenderten. Ich habe gebetet, dass keines dieser Kinder aus Jux einen Sprung zur Seite machen möge...es wäre platt gewalzt worden!! Als wir auf halbem Wege noch eine weitere Lehrerin aufluden, habe mich sehr gerne auf die Rückbank gesetzt um weniger vom Treiben auf der Strasse mitzukriegen! Neben der Strasse hat es metertiefe Gräben, die einem zusätzlich Angst machen. Ich weiss nun woher das Sprichwort „im Strassengraben zu enden“ kommt! Das muss aus Afrika stammen! Und die vielen Sargmacher überall liessen mich auch nicht ruhiger werden.
Endlich haben wir dann die Asphaltstrasse verlassen und sind auf einen holprigen Naturweg abgebogen. Da muss man langsam fahren...Gott sei Dank!! Aber da es gestern Tonnen geregnet hatte, war die Erde spiegelglatt und wir sind nur so hin und hergerutscht. Toll, dass Alice sich keine neuen Pneus leisten kann und auf abgewetzten Gummis fährt. Ich habe fast in die Hosen geschissen vor Angst in den Bananenstauden zu enden...
Auf dem ganzen Campus wimmelte es von fliegenden Ameisen. Der Regen hat die offenbar rausgetrieben. Wenigsten stechen sie nicht! Unsere Stube war heute Morgen auch schon dicht besiedelt von diesen unruhigen Dingern und Carol hat sie in mühevoller Arbeit zusammengewischt und entsorgt.
Mit meinen Flip Flops bewaffnet, habe ich mich vom Auto zum Lehrerzimmer gekämpft. Nach 10 Metern waren meine Schuhsohlen schon etwa 5cm dicker... Grauenhaft, wie die durchnässte Erde kleben bleibt!!! Überall standen Schüler und Lehrer an irgendwelchen Schwellen und haben versucht die Dreckschunken von den Schuhen loszubekommen. Manche der Lehrer liessen sogar die Kinder ihre Schuhe putzen, ich meine die Schuhe der Lehrer!! Das sind Sitten, die bei uns längst der Vergangenheit angehören.
Die Schüler müssen immer um 7h antreten und dann erst den Campus säubern, die Pflanzen giessen, für die Lehrer Einkäufe erledigen etc., bevor um 8h der Unterricht beginnt.
Im Lehrerzimmer haben zwei Jungs Mehl aus einer Tonne abgefüllt und rüber zur Kochhütte geschleppt. Zwischendurch habe ich noch eine Maus quer durchs Zimmer rennen sehen, aber das macht mir nichts aus. In der Schweiz habe ich ja sogar mein Brot mit den Mäusen geteilt, wenn auch unfreiwillig.
Um 8h habe ich dann die Lehrer höflichst zum Unterricht gebeten. Wie immer, hab ich mich zuerst zu den ganz Kleinen gesellt. Irgendwie hat es sich ergeben, dass die Kids mir jetzt jedes Mal die Hände entgegenstrecken, wenn ich ins Zimmer komme und ich dann mit meiner Hand über ihre klatsche. Das lässt alle erstrahlen und mich erfüllt es mit unendlicher Zufriedenheit!
Im Verlauf des Morgens kam dann tatsächlich ein Mann angerollt, der verantwortlich ist für die Bauarbeiten der neuen Klassenräume. Er hat versprochen bis morgen alle einzelnen Kosten zusammenzustellen, so dass wir einen Anhaltspunkt haben, wie viel Geld wir brauchen. In einem nächsten Schritt tragen wir dann die weiteren Kosten wie Tische, Schreibtafeln etc. zusammen. Bin gespannt, ob das eine brauchbare Offerte sein wird...
Heute hat mir Alice den kleinen Kelvin vorgestellt, dessen rechter Arm verbrannt war. Er hatte über dem linken Auge eine grässliche Nähnarbe und ich musste mich so sehr anstrengen zu lächeln um dem Kind meine Bestürzung nicht so deutlich zu zeigen! Er hat zu hause 8 Geschwister, einen kranken Vater und somit kein Geld, kein Essen. Das heisst, dass die neun Kinder sich jedes Mal, wenn’s was zu essen gibt darum streiten müssen! Und so endete der Arm des kleinen Kelvin eines Tages im Topf, der mit kochend heissem Porridge gefüllt war.
Jedes dieser Schulkinder hat seine eigene Geschichte und keine ist wirklich erfreulich!
In der Pause haben mich die Lehrerinnen mit allem möglichen gefüttert und ich habe tapfer runtergeschluckt. Von Avocados, Fladenbrot, Mangos, über geröstete Bananen, die grauenhaft schmeckten, habe ich alles runtergewürgt. Dabei hätte ich doch so gerne ein Brioche und eine Latte Macchiato gehabt...um 10 Uhr morgens!
Andauernd kommen Gemüse- und Früchtefrauen vorbei und die Lehrerinnen erledigen ihre Einkäufe direkt im Lehrerzimmer. Zum Teil ist es unglaublich wie viel Gewicht die armen Frauen auf ihrem Kopf zum Markt tragen müssen. Carol hat neulich eine ganze Bananenstaude gekauft um der Frau das Tragen zu erleichtern. Die Bananen hat sie dann verschenkt.
Die letzte Schulstunde vor dem Mittagessen habe ich wieder bei meinen a, e, i, o, u Schützen verbracht. Während die Lehrerin mündlich mit den Kindern übte, hatte ich hinten im Raum meinen Tisch stehen, der zubetoniert war mit Heften, die ich kontrollieren sollte. Irgendwann mussten die Schüler dann wieder Schreibübungen machen und auf einmal war die Lehrerin weg. Als die Kinder anfingen laut zu werden und ich nicht wusste, was sie machen sollten, hab ich mich auf die Suche nach der Lehrerin gemacht. Ihr müsst nicht denken ich sei unselbständig, aber wenn man nicht die gleiche Sprache spricht, ist es sehr schwierig sich verständlich zu machen. Neulich wollte ich sie zum Singen bringen. Gott hab ich mich wieder zum Narren gemacht mit all meinen Faxen und Geräuschen und gesungen haben sie schlussendlich trotzdem nicht. Wenigstens hatte sie ihren Spass! Wahrscheinlich dachten sie, ich sei der Pausenclown ;-)
Ich machte mich auf zum Lehrerzimmer und fand dort gleich alle Lehrer versammelt vor. In der Mitte war eine ganze Klasse anwesend auf ihren Knien ruhend und ich merkte, oups da störe ich, die sind am Beten! Erst das entsetze Aufspringen der Erstklasslehrerin und ihre Bemerkung, dass wir besser ins Schulzimmer zurückgehen sollten, liessen mich skeptisch werden.
Als dann um 12h die Schulstunde fertig war, sass Alice schon in ihrem Auto bereit um zu gehen. Gewöhnlich dürfen wir erst um 12h30 das Gelände verlassen...
Ich wollte mich beeilen und schnell schnell noch meine Tasche aus dem Lehrerzimmer holen um Alice nicht warten zu lassen und da wars dann auch schon zu spät. All die „betenden“ Kinder von vorhin knieten zwar immer noch auf dem Boden, nur mittlerweile weinten sie. Schockiert und völlig überfordert mit dieser Situation, hab ich meine Tasche gesucht, die Alice schon längst im Auto hatte, weil sie auf keinen Fall wollte, dass ich das hier sehen sollte! Wieder draussen begriff ich dann langsam, was da abging. Drinnen wurden Kinder geschlagen um sie zu bestrafen. Wie mir dann erzählt wurde, hat ein Junge sehr wüste Sachen in ein Heft eines Mädchens geschrieben und gezeichnet und es zum Weinen gebracht. Als der Lehrer wissen wollte wer das war, hat sich niemand gemeldet also wurden alle geschlagen!
Alice fuhr mich dann mit der Rektorin auf dem Rücksitz in die Stadt, wo ich einfach nur noch alleine sein wollte. Grauenhaft war das, was ich gerade mit ansehen musste! Noch schlimmer war aber die gewaltgeladene Stimmung, die mich so sehr eingeschüchtert hat, dass ich nicht ein Wort zu sagen getraute!
Zum Lunch habe ich mich mit Carol getroffen und ihr alles erzählt. Sie war noch geschockter als ich, da ich es gar noch gar nicht richtig gecheckt hatte bis dahin.
Anschliessend war es dann Zeit meine neuen Kleider bei der Schneiderin abzuholen und gleichzeitig etwas für Carol in Auftrag zu geben, falls ihr meine Sachen gefielen.
Wieder ein wenig beruhigt und erfreut über meine neuen Kleider, sah ich dann zu, wie die Schneiderin Carols Masse nahm. Das geschah alles auf dem Trottoir, also mitten im Geschehen. Auf einmal kam ein Pickup in einem Höllentempo um die Ecke gerast mit lauter Sirene oder Gehupe und einem wild umherfuchtelnden Officer auf der Brücke stehend, dass alle auf die Seite gehen sollten. Wie der Wagen an uns vorbeisauste, sah ich eine weisse Frau auf der Ladefläche liegen mit einem blutenden Hals. Ihr Kopf fiel in der Kurve hin und her und sie war mit Sicherheit nicht bei Bewusstsein!! Dieses Bild fuhr mir so derart in die Knochen, dass ich mich hinsetzen musste und sofort die Tränen hochschossen. Grausam wie diese arme Frau, schwer verletzt in glühender Hitze ohne Jemanden, der sie festhielt, auf der Ladefläche lag! Zu meinem Schock kam eine wahnsinnig grosse Wut dazu, da ich annahm, dass sie überfallen wurde. Jetzt wollte ich einfach nur noch nach hause! Die Frage:“was mache ich eigentlich hier?“ kam unweigerlich in mir hoch.
Abends hat dann Carol mitgeteilt bekommen, dass ein Kleinflugzeug abgestürzt sein muss mit drei Toten und Schwerverletzten Wir gehen jetzt arg davon aus, dass es sich bei der Frau um ein Absturzopfer gehandelt hat!

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